Roadmap zur Klimaneutralität
Die Gießereiindustrie ist trotz ihrer vergleichsweise geringen Größe ein wesentlicher Zulieferer von Schlüsselbausteinen, das gilt insbesondere für Exportbranchen wie den Automobil- und Maschinenbau. Es gibt wohl keinen Industriezweig, der ohne gegossene Komponenten aus Eisen, Stahl oder NE-Metallen von Aluminium bis Zink auskommt.
Charakteristisch für die rund 600 vorwiegend mittelständisch geprägten Gießereien in Deutschland mit ihren rund 70.000 Mitarbeitern ist, dass sie sich stark voneinander unterscheiden; sowohl hinsichtlich ihrer Größe und Unternehmensstruktur, ihren Abnehmerbranchen und Absatzmärkten als auch den angewandten Verfahren und eingesetzten Metallen. Eines aber ist allen Gießereien gemein: Sie sind energieintensive Betriebe. Umso machen ihnen die hohen Energiepreise in Deutschland zu schaffen.
Angesichts der explodierenden Energiepreise und der Gefahr des Totalausfalls der Gaslieferungen bedeutet die Verpflichtung zur Klimaneutralität nicht allein zusätzliche Kosten, sondern bei durchschnittlichen Gewinnspannen um die 4 Prozent eine nur schwer zu stemmende Belastung. Mit dem Krieg in der Ukraine haben die Unsicherheiten dramatisch zugenommen.
Einen eindeutigen Transformationspfad wie in der Stahlindustrie – Direktreduktion mit grünem Wasserstoff plus Grünstrom – gibt es für die Gießereiindustrie nicht. „Jede Gießerei muss ihr eigenes Konzept hin zur Klimaneutralität entwickeln“, sagt Elke Radtke, Referentin Umwelt- und Arbeitsschutz im Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie BDG.
Dekarbonisierung: Viele Projekte noch im Forschungsstadium
CO2-Emissionen entstehen in Gießereien bei den unterschiedlichsten Prozessen an den unterschiedlichsten Aggregaten. Dekarbonisierung beschränkt sich daher bei weitem nicht nur auf den Kupolofen mit Koksfeuerung der Eisengießer, sondern betrifft ebenso die erdgasbefeuerten Schmelzöfen der NE-Metallgießer sowie die allermeisten Warmhalte- und Vorwärmöfen. Eine mangelnde Bereitschaft zur Transformation zur Klimaneutralität kann der Branche jedoch nicht vorgeworfen werden. Im Gegenteil. Eine aktuelle Nachhaltigkeitsbefragung im Auftrag der Euroguss zeigt, dass die Druckguss- und Gießerei-Branche schon heute viel grüner als ihr Ruf ist.
Vielmehr befinden sich viele Projekte zur Dekarbonisierung – etwa mit Biokoks und Wasserstoff – noch im Forschungsstadium und erforderten mehrjährige Betriebsversuche, erläutert Dr. Ingo Steller, Geschäftsführer Forschungsvereinigung Gießereitechnik im BDG. Aktuell werden im Projekt InnoGuss des BDG Technologien zur CO2-Vermeidung untersucht. Bis Mitte nächsten Jahres sollen erste belastbare Ergebnisse vorliegen.
Ein weiteres Problem sind die Versorgungsprobleme mit grünen Energie-Alternativen wie Grünstrom, Biokoks, Biogas und Wasserstoff.
„Wichtig sind verlässliche politische Rahmenbedingungen für die Gießereien. Denn der Umstieg auf eine andere Schmelztechnologie ist eine Entscheidung für Jahrzehnte.“ so Elke Radtke.
Tiegelofen versus Kupolofen
Gießereiexperten setzen vor allem auf die Ablösung des Koks-Kupolofens durch den elektrischen Schmelzbetrieb. Auf der GIFA 2023 werden die führenden Induktionsofenhersteller ABP und Otto Junker die modernsten Tiegelöfen vorstellen, Mittelfrequenz-Induktions-Tiegelöfen, die sich für Gusseisen und Stahlguss eignen. In Deutschland schmelzen rund 40 Prozent der Eisengießereien den Grauguss elektrisch mit Induktionsöfen, mehr als die Hälfte noch mit koksbefeuerten Kupolöfen.
Voraussetzung für den elektrischen Schmelzbetrieb ist allerdings, dass Grünstrom in den erforderlichen Mengen zur Verfügung steht. Das ist jedoch nicht der Fall, zumal sich Großverbraucher bereits fast alle verfügbaren Kontingente an Grünstrom gesichert haben. Die Preise für Strom und Erdgas steigen weiter und ein Ende der Entwicklung ist nicht abzusehen. Aufgrund der unsicheren Rahmenbedingungen fällt es Eisengießerei schwer, mit elektrischem Schmelzen klimaneutral zu werden. Zudem ist es mit dem Wechsel vom Kupolofen zum Tiegelofen allein nicht getan. An Investitionen – gute 20 Millionen Euro sind für einen mittleren Kupolofen zu veranschlagen – kommen Trafo und Stromleitungen, Kosten für den Umbau und damit verbundene Verluste durch Produktionsausfall hinzu.
Eine weitere Herausforderung ist die Versorgungslage mit hochwertigem Schrott.
Mit ihren Kupolöfen verwandeln Eisengießer in Deutschland selbst den minderwertigsten Schrott in hochwertiges Gusseisen um daraus Spitzenprodukte für den Weltmarkt herzustellen: Zum Beispiel ebenso dünnwandige wie hochfeste gusseiserne Motorblöcke für die Automobilindustrie. Möglich wird dies durch ausgeklügelte Metallurgie und einen optimierten Schmelzbetrieb.
Induktions-Tiegelöfen sind gegenüber koksbefeuerten Kupolöfen nicht nur wesentlich teurer in Anschaffung und Betrieb. Sie haben zudem den Nachteil, dass sie den besten Schrotteinsatz benötigen, den der Markt hergibt. Hier müssen kleinere Abnehmer wie Gießereien mit großen Stahlerzeugern konkurrieren, die in Folge der Umstellung vom Hochofen auf die Elektrostahlerzeugung auf hochwertigen Schrott angewiesen sind. Beispielsweise kauft der weltgrößte Stahlerzeuger ArcelorMittal gleich ganze Schrottaufbereiter auf – das sind gewaltige Mengen an Altmetall, die auf dem freien Markt dann nicht erhältlich sind.
Biokoks und Wasserstoff als Hoffnungsträger?
Eine Option für die Zukunft könnte Wasserstoff darstellen. Grundsätzlich kann der Einsatz von Wasserstoff in Verbrennungsprozessen in Gießereien zu einer signifikanten Reduzierung der CO2-Emissionen beitragen, insbesondere für nachgeschaltete Anlagen. Wasserstoffeinsatz in Gießereien ist allerdings ein sehr junges Forschungsgebiet und nach Einschätzung von Gießereiexperten wie Ingo Steller aus heutiger Sicht keine Option für den Kupolofen: „Es gibt noch keine Praxisversuche am Kupolofen, man weiß noch nicht, wie diese Brenner mit ihren höheren Temperaturen mit einer Schüttung wie im Kupolofen arbeiten.“ Es gebe zwar Fallbrennversuche, die zeigten, dass solche Brenner funktionieren können, doch ließen die sich nicht 1:1 umsetzen.
„Biokoks ist eine Hoffnung, aber noch nicht realisiert“, sagt Steller vom BDG. Heute könne dem Kupolofen nicht viel mehr als 10 Prozent Biokoks zugeführt werden. „Um Gießerei-Biokoks zu erzeugen, müssten Stammholzabfälle karbonisiert und mit Binder in mechanisch stabile Brikettform ausreichender Größe verpresst werden, hochtemperatur- und druckfest – und das im industriellen Maßstab zu wettbewerbsfähigen Preisen.“ Der kleinstückige Biokoks der Stahlindustrie ist für Gießereien nicht geeignet.
Schmelzöfen im Bereich NE-Metalle werden überwiegend mit Erdgas befeuert. Hier wäre es möglich, Biogas beizumischen oder das Erdgas eventuell damit zu ersetzen. Die Forschung ist diesbezüglich jedoch noch nicht ausgereift. Wasserstoff als Erdgasersatz kommt am ehesten für Vorwärmöfen in Frage; die zu lösenden Forschungsaufgaben sind vergleichbar mit dem Wasserstoff-Einsatz beim Kupolofen.
Roadmap zur Klimaneutralität
Die Forschungsinitiative InnoGuss des BDG soll bis Mitte nächsten Jahres laufen, eventuell auch länger. „Ziel ist herauszufinden, welche Technologien sich für Gießereien adaptieren lassen“, sagt Technikexperte Steller. Mit einer Roadmap zur Klimaneutralität untersuchen Fachleute aus Verband, Forschung und Industrie auch Technologien aus energieintensiven Branchen wie dem Stahlbereich oder Brennertechniken aus der Glasherstellung.
Erste Breakthrough-Technologien zur Dekarbonisierung erwarten die Gießereiexperten auf der decarbXpo 2022, der neuen Fachausstellung für Technologien und Lösungen zur Dekarbonisierung der Industrie, die von der Messe Düsseldorf im September dieses Jahres veranstaltet wird. Gießerei-Experte Steller: „Gerade bei den Themen Erdgasersatz und Vorwärmung erwarte ich einiges von den Ofenherstellern – Technologien von der decarbXpo, die sich für die GIFA adaptieren lassen.“
Die internationale Gießerei-Fachmesse GIFA 2023 findet zusammen mit der METEC, der THERMPROCESS und der NEWCAST als Messequartett GMTN 2023 im Rahmen von „The Bright World of Metals“ vom 12. bis 16. Juni 2023 in Düsseldorf statt.