Branchenvertreter befürchten Deindustrialisierung statt Dekarbonisierung
Seit Anfang 2022 stieg der Preis erneut um etwa 15 %. Damit liegt er um 60 % über dem Preis von vor einem Jahr. Was nach einer positiven Nachricht für Aluminiumproduzenten klingt, sieht der Kreditversicherer Credendo sehr kritisch: Es sei nicht nur die gestiegene Nachfrage, sondern der Produktionsrückgang, der einen signifikanten Anteil an der Preissteigerung habe.
Ein Grund für die Verknappung des Rohstoffes ist, dass sich China – größter Aluminiumproduzent der Welt – das Ziel gesetzt hatte, im Vorfeld der Olympischen Winterspiele die Luftverschmutzung zu reduzieren. Die Produktion wurde stark zurückgefahren und Aluminium stattdessen in großem Umfang importiert.
Ein anderer Grund sind die Energiepreise. In Europa stieg der Erdgaspreis innerhalb des Jahres 2021 um fast 550 %. Da Energie mit mehr als einem Drittel in die Produktionskosten einfließt, hat der starke Anstieg des Gaspreises also signifikante Auswirkungen auf die Rentabilität der Unternehmen. Die europäischen Aluminiumproduzenten sehen sich nun gezwungen, Hütten zu schließen oder die Produktion einschneidend herunterzufahren. So bereits geschehen in Spanien (Alcoa), Rumänien (Alro), Slowakei (Slovalco) und Frankreich (Aluminium Dunkerque France).
Im Zuge der Ukraine-Krise werden zudem amerikanische und europäische Sanktionen gegen Russland den europäischen Aluminiumsektor treffen, da Russland zweitgrößter Aluminiumproduzent der Welt ist. Der Finanzexperte befürchtet durch neue Handelshemmnisse sogar „einen tödlichen Schlag für die europäische Industrie“.
Laut dem Analysten Matthieu Depreter von Credendo entsteht ein Paradoxon. Das Gesamtwachstum der Produktionsmenge ist durch die Energiepreise und den Wunsch nach Senkung des Kohlendioxidausstoßes begrenzt oder gar gefährdet. Die Nachfrage nach Aluminium wird jedoch voraussichtlich stark steigen, da es ein Schlüsselmetall für den Übergang zu einer emissionsarmen Wirtschaft ist. Während Aluminium benötigt wird, um Emissionen in Zukunft zu senken, wird derzeit die Produktion verlangsamt, um Emissionen zu vermeiden. Profiteure sind außereuropäische Gießereien.
Trotz allem war das Jahr 2021 zunächst ein starkes Jahr für die Aluminiumbranche, berichtet Aluminium Deutschland e. V. „Das unterstreicht zum einen die Attraktivität des Werkstoffs in den Augen unserer Kunden, gerade auf dem Weg hin zu einer klimaneutralen Industrie. Leichtbaukompetenz und sehr hohe Recyclingfähigkeit vereinen sich bei Aluminium. Außerdem zeigt sich, dass die deutschen Werke in einem hartumkämpften Wettbewerb sehr leistungsfähig sind.“ erläutert Dr. Hinrich Mählmann, Präsident von Aluminium Deutschland.
Bei den Aluminiumhalbzeugen wurde die Produktion im Vergleich zum Vorjahr um 10 % gesteigert. Die deutschen Strangpresswerke erreichten einen Zuwachs von 20 %, was fast dem Hoch aus dem Jahr 2007 entspricht. Der Umsatz der Betriebe erreichte mit einem Wert von 21,7 Milliarden Euro beinahe wieder das Niveau aus dem Jahr 2018. Dabei spielten allerdings die stark gestiegenen Aluminiumpreise an der London Metal Exchange (LME) eine große Rolle.
Im vierten Quartal 2021 brach die Produktion aufgrund der drastisch angestiegenen Energiepreise jedoch um 16 % ein.
Die europäische Aluminiumindustrie hat die Pandemie meistern können, Grund zur Sorge gibt laut Mählmann jedoch die politische Einflussnahme auf die europäische Industrie: „Die jüngste Energiepreisexplosion, die nicht überraschend kam, setzt die Unternehmen massiv unter Druck. An dieser Stelle muss sich die Politik die Frage stellen, ob sich die deutsche Volkswirtschaft bei einem zunehmend relevanten Werkstoff wie Aluminium noch stärker von Importen teils unzuverlässiger Handelspartner abhängig machen will. Die Versorgungsunsicherheit bei kritischen Legierungsmetallen hat darüber hinaus zu großer Verunsicherung in der gesamten Lieferkette geführt.“
Schwerwiegende Hürden seien der drastische Anstieg der Strompreise, anhaltender Chipmangel und die kürzlich ausgesetzten Anti-Dumping-Zölle auf spezielle Alu-Flachwalzprodukte aus China. Hiesige Aluminiumproduzenten, überwiegend mittelständischen Unternehmen, sehen sich teils schon am Rand ihrer Existenz. Dem Klima sei jedoch nicht geholfen, wenn die Produktion gezwungen sei, in Länder mit deutlich geringeren Sozial- und Umweltstandards abzuwandern.
„Ohne den raschen und entschlossenen Ausbau der Erneuerbaren in Deutschland, ohne politische Flankierung der gesamten Industrie, wird Dekarbonisierung auf Deindustrialisierung hinauslaufen.“ so der Branchenexperte.
Die deutsche Aluminiumindustrie blickt dennoch mit Optimismus ins Jahr 2022, wenn auch verhalten. Marius Baader, der Geschäftsführer von Aluminium Deutschland, merkt dazu an: „Die gut gefüllten Auftragsbücher bei unseren Kunden aus der Industrie stimmen uns recht positiv.“ Sollten sich Versorgungsengpässe und Chipmangel im Laufe des Jahres auch noch auflösen, dürfte sich die aufgestaute Nachfrage in Umsätze verwandeln und für einen Wachstumsschub sorgen.