Bei jeder chemischen Reaktion wird eine bestimmte Wärmemenge entweder verbraucht (endothermer Vorgang) oder aber freigegeben (exothermer Vorgang). Diese Wärmemenge wird als Bildungswärme oder Reaktionsenthalpie bezeichnet. So ist beispielsweise bei der Oxidbildung durch Verbrennung die frei werdende Verbrennungswärme gleich der Oxidbildungswärme; sie hat ein negatives Vorzeichen, weil der Vorgang exotherm ist. Aus der Größenordnung der Oxidbildungswärme verschiedener Elemente lässt sich deren Oxidationsfähigkeit erkennen (Affinität).
Aus den drei abgebildeten Teildiagrammen lassen sich die Oxid-, Sulfid- und Chlorid-Bildungswärmen bei Reaktionen mit verschiedenen Legierungsbestandteilen in Abhängigkeit von der Temperatur ablesen. Die Temperatur ist für die Reaktion mit flüssigen Metallen und Legierungen von besonderer Bedeutung, denn sie bestimmt darüber, welche Oxide, Sulfide, Chloride, Nitride od. dgl. in der Schmelze gebildet werden können.
Die entscheidende Rolle spielt die Affinität des betreffenden Metalls oder Legierungsbestandteils zum jeweiligen Reaktionsstoff (zum Beispiel Sauerstoff, Schwefel, Chlor, Stickstoff). In erster Linie reagieren nur jene Metalle, allein oder als Legierungsbestandteile, die die höchste Affinität zum Reaktionsstoff bei der betreffenden Temperatur des Schmelzbades haben. Maß der Affinität ist die Bildungswärme (Bildungsenthalpie, Reaktionsenthalpie), so zum Beispiel die Oxidbildungswärme für die Sauerstoffaffinität, die Sulfidbildungswärme für Schwefelaffinität oder die Chloridbildungswärme für die Chloraffinität.
Im linken Teildiagramm ist die temperaturabhängige Oxidbildungsenthalpie dargestellt. Man sieht, dass Aluminium bei allen technisch üblichen Temperaturen die höchste Sauerstoffaffinität besitzt und dass das aus der Reaktion mit dem Sauerstoff entstandene Aluminiumoxid bis 2000 °C nicht reduzierbar (desoxidierbar) ist. Praktisch bedeutet dies, dass sich in aluminiumhaltigen Schmelzen im Kontakt mit Sauerstoff vorherrschend Aluminiumoxid Al2O3 bildet; erst wenn praktisch kein Aluminium mehr vorliegt, sind andere oxidbildende Reaktionen möglich, wobei jeweils jene mit der höchsten Oxidbildungsenthalpie dominiert. In gleicher Weise ist jede oxidierende Reinigungsbehandlung oder Raffination einer Metallschmelze zu verstehen, denn das Entfernen einzelner Beimengungs- oder Legierungselemente durch Oxidation kann nur in der Reihenfolge der Oxidbildungsenthalpie bei den betreffenden Temperaturen ablaufen.
Analog zeigt das mittlere Teilbild die Schwefelaffinität, die sich zum Beispiel für Entschwefelungsmaßnahmen nutzen lässt Wie daraus hervorgeht, haben Cer und Calcium die höchste Schwefelaffinität, und danach folgen Magnesium und mit weiterem Abstand Mangan. Das rechte Teilbild vermittelt eine Übersicht über die Chloraffinität, wie sie für chlorierende Behandlungen (Chlorgasspülung, chlorabgebende Schmelzebehandlungsmittel) von Interesse ist.