Bei ruhender Last fortschreitende plastische Verformung eines Werkstoffes in Abhängigkeit von Intensität, Temperatur und Zeitdauer der Beanspruchung. Besonders bei hohen Temperaturen kommt es im Werkstoff zu vermehrter Diffussion und in Folge zu einem Versetzungsgleiten. Bei Temperaturen oberhalb der Rekristallisationstemperatur kommt dazu das Korngrenzengleiten. Feinkörnige Gefüge begünstigen das Korngrenzengleiten, grobkörnige vermindern es. Zur Charakterisierung dieses Werkstoffverhaltens werden Werkstoffkennwerte mittels Zeitstandversuch (Einachsiger Zeitstandversuch unter Zugbeanspruchung – Prüfverfahren EN ISO 204) ermittelt. Dabei wird bei konstanter Temperatur die Zeitdauer t ermittelt, die bei gegebener Spannung zu einem bestimmten (plastischen) Dehnbetrag oder zum Bruch der Probe führt. Wie die Zeitdehnlinie in der schematischen Darstellung zeigt, nimmt die Dehnung unmittelbar nach dem Aufbringen der Spannung sehr schnell zu.
Es schließt sich ein
- Bereich I (primäres Kriechen) mit plastischer Verformung bei abnehmender Kriechgeschwindigkeit an, dem
- Bereich II ( sekundäres Kriechen) mit ungefähr konstanter Kriechgeschwindigkeit folgt, bis schließlich im
- Bereich III ( tertiäres Kriechen) die Kriechgeschwindigkeit wieder zunimmt und der Bruch eintritt.
Der Bereich I ist bei relativ niedrigen Temperaturen lange anhaltend, weil das Gleiten der Versetzungen durch Aufstau zum Stillstand kommt. Der Bereich II ist nicht bei jedem Werkstoff feststellbar; er ist um so kürzer, je höher die Temperatur und die ruhende Beanspruchung liegen. Andererseits kann dieser Bereich mit seiner ungefähr konstanten Kriechgeschwindigkeit auch sehr breit sein und viele Jahre dauern. Das tertiäre Kriechen umfasst meist nur einen relativ geringen Zeitbereich gemessen an der Gesamtlebensdauer der Probe.
In den meisten Fällen sind die ersten 1 bis 2 % plastische Verformung durch Kriechen, wie beispielsweise die Dehnung unter Zugbeanspruchung, kritisch für die Verwendbarkeit eines Bauteiles, das relativ kriechfest sein soll. Je länger es dauert, bis ein bestimmter Kriechbetrag (Dehnungswert) erreicht wird, desto größer ist der Kriechwiderstand des betreffenden Werkstoffes, er wird als relativ kriechfest bezeichnet.