Vollformgießverfahren

Kennzeichnend für das Verfahren ist der Einsatz von einmalig verwendbaren, verlorenen Positivmodellen aus einem Polymerschaum (engl: lost foam = verlorener Schaum). Die Modelle werden vor dem Guss aus mehreren einfachen Segmenten zusammengesetzt und können somit nach dem Zusammenbau eine hoch komplexe Geometrie bilden. Hinterschneidungen sind ebenso darstellbar wie integrierte, Medien führende Kanäle oder Hohlräume. Vor dem Abguss werden die Modelle noch beschichtet und in binderlosen Formstoff eingeformt. Es entsteht auch kein Formhohlraum, weil das Schaumstoffmodell so lange die Form füllt, bis es beim Gießen kontinuierlich vergast und durch das flüssige Metall ebenso kontinuierlich ersetzt wird. Daraus leitet sich die Bezeichnung „Vollform“ ab.

Die Herstellung individuell gestalteter Einzelteile als Prototypen oder Funktionsmuster sind mit dem Vollformgießverfahren ebenso möglich wie eine Serienfertigung hoher Stückzahlen.

    Konstruktionsphase und Modellherstellung

    Die zukünftige Bauteilgeometrie wird in der Konstruktionsphase in einzelne Modellsegmente zerlegt und später zu einem oft hochkomplexen Modell zusammengefügt.

    Das Ausgangsmaterial zur Herstellung der Schaumstoffmodelle für Aluminiumguss ist ein mit dem Treibmittel Pentan versetztes expandierbares Polystyrol (EPS)-Granulat. Für die Herstellung von Gusseisen und Stahlbauteilen wird ein Copolymer aus EPS und EPMMA (expandierbares Polymethylmethacrylat) eingesetzt.

    Bei der Modellherstellung stehen in Abhängigkeit von der zu fertigenden Stückzahl folgende Verfahren zur Anwendung

    • CNC-Frästechnik: Mit der CNC-Frästechnik lassen sich hinterschnittfreie Modellsegmente aus einem vorgefertigten Polymerschaumblock fräsen. Dieses Verfahren eignet sich zur Herstellung von Prototypengussteilen und Funktionsmustern bis hin zu Kleinserien
    • Schäumverfahren: Für die Herstellung von Gussbauteilen in der Großserie wird die Schäumtechnik verwendet, wodurch Modelle in Dauerformen in großen Stückzahlen wirtschaftlich hergestellt werden können, Bild 1.
    Fügen von Modellsegmenten

    Das Fügen der einzelnen Modellsegmente erfolgt in der Serienfertigung mit einem Schmelzklebstoff der über Klebemaschinen auf die Modellsegmente aufgetragen wird. Die Maschine übernimmt gleichzeitig die lagegerechte Fixierung der Modellsegmente und fügt diese zu einem Gießmodell. Alternativ besteht auch die Möglichkeit, die Modellsegmente mit einem langsam aushärtenden Dispersionsklebstoff manuell zu fügen, wenn eine Feinmodellierung oder Justierung der Modellsegmente erforderlich ist. Dies wird insbesondere in der Prototypenherstellung angewendet.

    Modellmontage

    Um die Effizienz des Gesamtprozesses zu erhöhen können mehrere Modelle zugleich mit einem gemeinsamen Angusssystem verbunden werden. Es entsteht eine Modelltraube oder ein Cluster. Dabei können mehrere Dutzend Teile an einem Cluster kombiniert werden. Die Modelltrauben werden anschließend durch Tauchen mit einer wasserbasierten, keramischen Schlichte überzogen Dieser Überzug hat die Aufgabe, die Abfuhr der vorwiegend gasförmigen aber auch liquiden Modellbestandteile des Modellwerkstoffes in den binderlosen Formstoff (vorwiegend Quarzsand oder Mullit) abzuleiten, die während des Abgusses durch die Modellzersetzung entstehen. Weiterhin bildet die Schlichte eine feuerfeste Barriere mit Stützfunktion zwischen dem Gießmodell beziehungsweise der Schmelze und dem umgebenden Formstoff und verhindert ein Eindringen des Formstoffes in den Modellhohlraum, der während der Zersetzung des Modellmaterials entsteht. Zum Austreiben der Feuchtigkeit aus dieser Schlichte werden die Modelltrauben in einem Ofen mit circa 50 °C warmer Luft getrocknet, Bild 2.

    Einformen, Gießen und Ausformen

    Die geschlichtete Modelltraube wird in einen Gießbehälter eingesetzt und durch ungebundenen Formstoff sequentiell berieselt. Der Formstoff wird durch die auf den Gießbehälter einwirkenden Vibrationen fließfähig und zugleich verdichtet, wodurch der Formstoff alle Hinterschnitte und Kanäle erreichen, ausfüllen und somit detailgetreu abbilden kann. Zum Schluss der Verdichtung ist die Modelltraube vollständig im binderlosen Formstoff eingebettet – lediglich ein definiertes Stück vom Anguss ragt aus dem Formstoff heraus. Über den Anguss wird ein Eingusstrichter gesetzt, in den die Metallschmelze gegossen und durch Gießläufe in das Modell geleitet wird, Bild 3.

      Verfahrensvarianten aus der Verwendung unterschiedlicher Formstoffe:

      1. Einformen in trockenen, rieselfähigen Sand,
      2. Einformen der Modelle in einen chemisch härtbaren Formstoff,
      3. Einformen in trockenen, rieselfähigen Sand und zusätzliche Stabilisierung des Sandes durch Anlegen eines Unterdruckes (Unterdruck-Vollformgießverfahren),
      4. Einformen in einen binderfreien, magnetisierbaren Formstoff (zum Beispile Eisengranulat) und Stabilisierung der Form durch ein Magnetfeld (Magnet-Vollformgießverfahren.

        Die thermische Energie der Schmelze zersetzt das Modellmaterial zu vorwiegend gasförmigen Produkten, die durch die Schlichte in den porösen Formstoff geleitet werden. Der freiwerdende Hohlraum wird vollständig vom Metall ausgefüllt und bildet nach der Erstarrung exakt die Modellgeometrie wieder. Das Prinzip der Modellzersetzung am Beispiel des steigenden Aluminiumgusses ist in Bild 4 dargestellt.

        Nach dem Erstarren der Schmelze werden die Gießbehälter durch Kippen entleert. Dabei fließt der Formstoff aus den Hohlräumen der Gussteile – die Gusstraube wird ausgeformt.

          Verfahrensunterschiede zwischen Aluminium-, Eisen- und Stahlguss

          Aluminiumguss und Stahl- bzw. Eisenguss unterscheiden sich hauptsächlich in der Herstellung der Schaummodelle und dem Schlichteprozess. Während beim Aluminiumguss ein Modell aus expandierbarem Polysytrol (EPS) verwendet wird, dient ein expandierbares Polymethylmethacrylat (EPMMA) oder ein Copolymer (Gemisch aus EPS und EPMMA) beim Stahl- beziehungsweise Eisenguss als Modellmaterial.

          Verfahrensvorteile und Einschränkungen
          • Segmentierter Aufbau der Positivmodelle mit einer deutlich größere Design- und Gestaltungsfreiheit sowie die Möglichkeit der Gewichtsreduzierung. Mehrteilig zu gießende Komponenten können einteilig dargestellt werden.
          • Entformungsschrägen können vielfach gänzlich entfallen.Vorgießen von Bohrungen, das Wegfallen von Formteilungen und des sich daraus ergebenden fehlenden Formteilversatzes.
          • Reduzierung der Rohteilnachbearbeitung und der Montagevorgänge.
          • Möglichkeit der Prototypen- und Kleinserienherstellung als auch die Fertigung im Großserienprozess, da sich die einzelnen Prozessschritte durchgehend automatisieren lassen.
          • Zu beachten sind folgende Einschränkungen:
          • Die Modellqualität, die Zersetzung des Modells beim Gießprozess und die Reproduzierbarkeit des Formfüllverhaltens.
          • Zur Vermeidung von Fehlern sind hier enge Prozessfenster und eine hohe Prozesskontrolle notwendig.
          • Gefahr der Deformierung der Modelle beim Schlichten, Trocknen und Einformen. Ein vorsichtiges Handling der Modelle sowie angepasste Vibrationsparameter beim Einformen sind Voraussetzung für ein maßhaltiges Gussteil. Durch die Verwendung von speziellen Schlichterahmen, in denen die Modelle fixiert sind, können Deformationen beim Beschichten verhindert werden.
          • Seitens der Geometrieanforderungen darf die Wandstärke 3 mm nicht unterschreiten