Florian Feddeck und sein Geschäftspartner Sven Dübbers haben im Oktober 2019 die Procast Gust übernommen. Wenige Monate später beginnt die Corona-Pandemie. Wie haben es die branchenfremden Umstrukturierungsexperten geschafft, das Unternehmen schuldenfrei durch die Krise zu führen?
Damals, im Oktober 2019, als Florian Feddeck und Sven Dübbers die Procast Guss GmbH gekauft hatten, um sie zu sanieren und restrukturieren, wussten sie noch nicht, was für eine Herausforderung auf sie zukommen würde. Und dabei war die Lage schon prekär: Die Procast Guss hatte zuvor bereits ihr Stammwerk in Bielefeld schließen müssen und war schon einmal verkauft worden. Die Belegschaft war entsprechend verunsichert und dann schlug die Corona-Pandemie zu. Wie es die beiden Unternehmer trotzdem geschafft haben, Procast Gust schuldenfrei auf solide Beine zu stellen und die 330 Mitarbeiter, die über drei Standorte verteilt arbeiten, zusammenzuhalten, erzählt Florian Feddeck im Interview.
Herr Feddeck, Sie sind beinahe 31 Jahre jung und blicken auf einen interessanten Lebenslauf zurück. Sie sind studierter Wirtschaftsingenieur und haben schon mehr als zehn Jahre Erfahrung in der Restrukturierung von Unternehmen. Bevor Sie bei Procast Guss eingestiegen sind, haben Sie bei einem Technologieunternehmen und dann bei einem Hersteller von Ladeinfrastruktur für die Elektromobilität gearbeitet – beides zukunftssichere Branchen, in denen man sich wohl keine Sorgen um seinen Job machen muss. Und seit 2019 sind Sie jetzt Geschäftsführer von Procast Guss. Die Gießerei-Industrie ist ja jetzt eine Branche, die es gerade nicht so leicht hat. Warum sind Sie diesen Schritt gegangen? Wie kam es dazu?
Das Unternehmen für Ladeinfrastruktur ist als Start-up aus der Restrukturierung eines Elektronikunternehmens entstanden. Das gehört zu meinem Management- Ansatz: Themen aufgreifen, die gerade nicht zu 100 % zum Kernunternehmen gehören. Wir hatten damals ja auch den richtigen Riecher – waren allerdings leider noch zu früh. Der Markt war noch nicht reif, um mit Ladeinfrastruktur Geld zu verdienen. Generell ist es so, dass das Thema Restrukturierung in meiner DNA steckt. Ich bin immer in Unternehmen, die in Umbruch- und Sondersituationen sind, weil ich mir nicht vorstellen kann, in einem Unternehmen zu arbeiten, in dem alles rund läuft, in dem alle Prozesse schon so wunderbar laufen, dass man nichts mehr verbessern und optimieren kann. Denn die Restrukturierung hat mir von Anfang an Spaß gemacht und so ist es auch dazu gekommen, dass mein Geschäftspartner und ich gesagt haben: Mensch, die Gießereibranche ist für uns ein spannendes Geschäftsfeld. Weil dieser Markt generell in einer Umbruchsituation ist. Aber auch, weil wir sehen, dass Guss aus Deutschland einen großen Stellenwert hat und haben wird. Denn deutsche Gießereien bieten eine Mehrleistung. Dafür sind die Kunden bereit, auch mehr zu zahlen – natürlich nur dann, wenn wir auch kosten- und preisbewusst arbeiten. Deshalb wollten wir ganz bewusst in diese Branche und bei der Procast Guss haben wir genau das gesehen, was uns interessiert: Dass man Prozessverbesserungen realisieren kann, dass man so genannte „Low hanging fruits“ auch sehr schnell umsetzen konnte, aber, dass wir auch eine sehr große Spielwiese hatten, um das Unternehmen nach vorne zu bringen und zu verbessern. Und damit sind wir auch noch lange nicht fertig.
Wie sind Sie dabei konkret vorgegangen? Welche Erfahrungen, die Sie aus dem Bereich der Umstrukturierung von Unternehmen mitgebracht haben, haben Sie dabei eingebracht?
Für uns stehen generell immer zwei Sachen im Fokus: Zum einen die Prozesse. Prozesse lassen sich immer verbessern, sie lassen sich immer an das aktuelle Gefüge anpassen. Das heißt, wir nehmen eine Bestandsaufnahme sämtlicher Prozesse vor, gucken, wo bestimmte Risiken sind, wo bringt eine Justierung mehr Leistung, eine höhere Produktivität? Mein wesentliches Thema in unserer Gruppe ist außerdem die Digitalisierung. Damit können wir Prozesse erkennen und analysieren, um langfristig eine Verbesserung zu tracken. Bei der Procast Guss legen wir besonders großen Wert darauf, weil wir sehr viele Daten haben.
Was machen Sie da konkret? Welche Werkzeuge der Digitalisierung nutzen Sie für welche Bereiche?
Wir nutzen „Process Mining“, das heißt, wir haben ein Potpourri an verschiedenen Daten, diese Daten analysieren wir mit den Tools des Programms. Wir schauen, wo es Peaks in den Prozessen gibt und justieren. Da ist dann aber natürlich noch viel händische Arbeit notwendig, das können meine Kollegen und ich aufgrund unserer Erfahrung umsetzen. Wichtig ist aber auch, dass man die ganze Mannschaft dabei mitnimmt. Und das ist der zweite wesentliche Punkt: Wir haben von Anfang an auf ein bewusstes Change- Management Wert gelegt. Man muss bei der Procast Guss wissen: Das Unternehmen gehörte vorher zu einem Konzern. Das heißt, die Kollegen mussten sich auch erst einmal darauf einstellen, jetzt im Mittelstand zu sein. Das Unternehmen wurde vor uns schon verkauft und wir haben jetzt ganz bewusst auf Mindset, Kulturänderung und Change Management gesetzt.
Im Oktober 2019 haben Sie bei Procast Guss angefangen und dann kam ziemlich schnell die größtmögliche Herausforderung, die man sich vorstellen kann: Die Corona-Pandemie. Wie haben Sie darauf reagiert?
Ich glaube, so wie alle: Zunächst sehr überrascht. Auch die ganze Entwicklung in 2020 hat uns überrascht. Gleichwohl hatten wir von vorneherein für das Geschäftsjahr 2020 mit verschiedenen Szenarien gearbeitet. Das machen wir prinzipiell immer. Eine normale Planung, eine Worst-Case-Planung und eine Best-Case-Planung. Man muss sagen, dass bei uns 2020 trotz Corona nur der Worst Case eingetroffen ist. Das heißt, wir hatten schon vor Corona eine Planung, wie wir damit umgehen, wenn unser Umsatz um 20 Prozent zurückgehen sollte und wenn wir Peaks haben, in denen keine Aufträge kommen. Was der so genannte „schwarze Schwan“ in unserem Worst-Case-Szenario sein wird, wussten wir damals natürlich noch nicht. Heute wissen wir, dass der „schwarze Schwan“ Corona heißt. Dadurch konnten wir sehr schnell reagieren und haben auch über die gesamte Corona-Zeit keine KfW-Mittel in Anspruch genommen. Dazu haben wir uns auch ganz bewusst entschieden, weil wir das Unternehmen langfristig nach vorne bringen und es nicht aufgrund eines solchen „schwarzen Schwans“ verschulden wollen. Da haben sicher einige unserer Marktbegleiter in Zukunft Herausforderungen, die wir nicht haben. Wir werden aus Corona bankschuldenfrei herausgehen. Darüber hinaus haben wir viele finanzielle Restrukturierungsthemen gelöst und da hat die ganze Mannschaft mitgezogen.
Da hatten Sie ja anderen Unternehmen gegenüber einen Vorteil, weil Sie schon, ohne zu wissen, was kommt, Maßnahmen in Angriff genommen oder auch schon eingeleitet hatten.
Absolut. Ich glaube auch, dass unser Vorteil bei Corona ist, dass wir krisenerprobt sind. Für viele kam es überraschend, dass es einen Umsatzrückgang von 20 bis 30 Prozent gab. Wir kennen solche Situationen und wir wissen, damit umzugehen. Wir kennen die Werkzeuge, die dafür notwendig sind. Ich glaube, das Thema Kurzarbeit ist seit 2020 jedem ein Begriff, aber das Instrumentarium der Kurzarbeit konnten wir schon vorher sehr gut spielen. Das war für uns keine Lernsituation mehr.
Stichwort Kurzarbeit: Die ganze Corona-Situation ist natürlich auch für die Mitarbeiter eine große Herausforderung. Hinzu kommen die unsichere Zukunft, Schulen und Kitas sind geschlossen. In dieser Gemengelage ist es natürlich auch schwierig, die Mannschaft bei Laune zu halten. Wie gehen Sie denn damit um?
Wir wollen nicht nur die Mannschaft bei Laune halten, sondern auch auf die Bedürfnisse, Probleme und Herausforderungen eingehen. Ich bin selbst Familienvater und meine Frau hat sich während der Kitaschließungszeit viel um unseren Sohn gekümmert. Jetzt im zweiten Lockdown versuchen wir das bestmöglich irgendwie aufzuteilen, aber das ist eben ein herausforderndes Thema für uns alle und gerade bei unseren Kollegen in der Gießerei oder generell im produzierenden Gewerbe ist es üblich, dass man mehrere Schichten hat, dass der Familienvater oder die Familienmutter nur am Vormittag oder nur am Nachmittag da ist und dass das auch nicht planbar ist. Wir haben gleich von Anfang an gesagt: Wir haben einen Kapazitätsrückgang durch Corona und brauchen deshalb keine zwei Schichten. Hinsichtlich der Produktion wäre es viel besser gewesen, wenn wir zwei Tage komplett geschlossen hätten. Aber im ersten Lockdown haben wir gesagt: Nein, wir arbeiten fünf Tage lang durch, wir reduzieren aber eine Schicht und so konnten die Kollegen immer planbar nur den halben Tag arbeiten, konnten sich mit ihren Partnerinnen und Partnern abstimmen, wer denn die Kinderbetreuung halbtags übernimmt.
Wie ist das bei den Kollegen angekommen?
Ich erinnere mich an eine Situation am Kaffeeautomaten, wo ein Kollege aus der Produktion zu mir kam und sagte: „Mensch, super, dass ihr das gemacht habt, denn so haben wir es hingekriegt, unsere Kinder zu betreuen.“ Eine Kollegin hat ihre Kinder einfach für zwei, drei Tage mitgebracht, weil sie einfach keine andere Möglichkeit hatte. Da waren wir ganz flexibel.
Und die Kinder saßen mit im Büro?
Genau und es hat funktioniert. Die Kollegin konnte genauso gut arbeiten, wie wenn ihre Kinder in der Schule gewesen wären. Ein großes Lob auch an die Kinder. Das geht natürlich nicht bei jedem, zum Beispiel bei den Kollegen, die bei uns im Schmelzbetrieb arbeiten. Das ist klar.
Und das Thema der Unsicherheit? Wie fangen Sie das auf?
Wir haben jetzt einen langfristigen Standortsicherungstarifvertrag für die Mitarbeiter an allen drei Standorten mit den jeweiligen IG Metallen abgeschlossen. Da haben wir sehr partnerschaftlich zusammengearbeitet. Damit haben wir der gesamten Mannschaft eine gute Perspektive gegeben, damit wir nach vorne kommen.
Wie gehen Ihre Mitarbeiter generell mit dieser Pandemie um, wie ist Ihr Eindruck? Wie ist da die Stimmung bei Ihnen?
Sie gehen sehr bewusst damit um. Wir haben in der ersten Phase, als das Thema Maskenverordnung hochkam, früh damit angefangen, sehr stringent zu reagieren. Meine Wahrnehmung war, dass es kein Murren in der Belegschaft gab. Klar, der eine oder andere fragte schon: Warum muss das denn jetzt sein? Warum muss ich, wenn ich von meinem Büro zur Toilette oder zum Kaffeeautomaten gehe, eine Maske tragen? Weil das damals noch nicht etabliert war. Heute ist es etabliert, aber wir haben von vorneherein darauf Wert gelegt. Da ging jeder sehr gut mit der Situation um und es hat sich auch jeder daran gehalten.
Welche anderen Maßnahmen ergreifen Sie, damit Ihre Mitarbeiter motiviert und gerne zur Arbeit gehen? Während der Pandemie im Besonderen und aber auch darüber hinaus?
Die Corona-Situation im Besonderen macht es schwer, die Kollegen über bestimmte Themen zu motivieren. Weihnachten ist gerade vorbei – eine Weihnachtsfeier hat es bei uns natürlich nicht gegeben. Das war im vergangenen Jahr an allen drei Standorten sehr schön. Damals waren wir gerade frisch als Unternehmer in das Unternehmen eingestiegen. Man konnte sich mit den Kollegen austauschen und unterhalten – das war auch für die Kollegen gut.
Aber wie motiviert man? Man holt die Kollegen ab und gibt ihnen ein Ziel und stärkt dieses Ziel durch sukzessive Transparenz und Erklärung. Dazu hatten wir in der Coronazeit auch nur begrenzt die Möglichkeit, weil es keine Betriebsversammlungen, keine Belegschaftsversammlungen gab. Wir haben dann Newsletter eingeführt, wir haben einen sehr engen Dialog mit den Betriebsräten geführt, unsere Betriebsleiter an den drei Standorten haben dann in Kleingruppen kommuniziert und wir führen jetzt zum ersten Mal eine digitale Betriebs- bzw. Belegschaftsversammlung. Glücklicherweise haben wir vor Corona unsere gesamte IT-Struktur umgestellt und können diese Tools jetzt auch sehr gut nutzen.
Sie haben also sehr viel in das Thema Kommunikation für die interne Situation in ihrem Unternehmen investiert. Wie sieht das denn hinsichtlich der Kunden aus? Mit welchen Ideen haben Sie auf diesem Gebiet das Unternehmen durch die Krise geführt?
Das Thema Kommunikation ist auch unabhängig von Corona für uns ein wesentliches Thema. Man kommt nur mit Transparenz und viel Kommunikation durch eine Umbruchsituation, weil man alle Kollegen abholen muss. Mit Corona ist es nur schwieriger.
Aber wie gehen wir mit den Kunden um? Ein dritter, großer Baustein der Transformation der Procast Guss liegt im Vertrieb. Wir strukturieren unseren Vertrieb konsequenter und besprechen Zielkunden konsequenter. Wir haben auch für den Vertrieb neue Kollegen eingestellt.
In der Coronazeit sind leider die einen oder anderen Unternehmen ausgefallen, es gab zahlreiche Insolvenzen. Die Teile, die produziert werden mussten, brauchten die Kunden aber auch. Oder es war so, dass bestimmte Teile nicht aus China geliefert werden konnten, weil die Lieferketten unterbrochen waren. Die Teile wurden aber in Deutschland benötigt. In dieser Situation haben wir sehr schnell reagiert, wir haben den Kunden sehr schnell unter die Arme gegriffen und haben vom Erstkontakt bis zur Serienlieferung innerhalb von vier Wochen die Teile realisiert. Ich erinnere mich da an einen Kunden, bei dem wir sogar innerhalb dieser vier Wochen einen Technology-Shift hinbekommen haben. Er hat ein anderes Gussverfahren verwendet und ihm wurde von seinen Technikern immer suggeriert, dass das nur wie gehabt funktioniert. Wir haben es aber mit unseren Möglichkeiten innerhalb von vier Wochen gelöst. Da sind wir schon sehr stolz drauf. Das waren Zeiten, in denen ich mich eher an ein Start-Up erinnert gefühlt habe, als an einen klassischen etablierten Mittelständler, weil die Kollegen alle mitgearbeitet haben, über drei Standorte: Sie haben digital miteinander korrespondiert, haben sich gegenseitig unter die Arme gegriffen und haben teilweise freiwillig Überstunden gemacht.
Das klingt so, – so schlimm diese Pandemie auch ist – dass sie für Sie eine Art Sparringspartner war, an dem man sich messen kann und der auch eine Chance bringen kann, über sich hinaus zu wachsen…
Hahaha, ja, aber ein Sparringspartner, den ich jetzt nicht noch einmal brauche.
Na, klar, den wünscht sich wohl keiner. Aber es ist natürlich schön, wenn man aus so einer schlimmen Lage auch etwas Positives ziehen kann und sich dann auch noch ein Wettbewerbsvorteil daraus ergibt. So ein Blick ist aus meiner Sicht wichtig in solchen Zeiten, um sich daran festzuhalten und nach vorne schauen zu können.
Absolut. Ich denke, keiner möchte dieses Jahr 2020 so noch einmal erleben. Das war für jeden einzelnen individuell furchtbar. Gleichwohl muss man aus solch einer Krise immer eine Chance mitnehmen und wir haben die Chance in den Themen gesehen, die wir bisher realisiert haben. Und dadurch, dass wir keine 100-prozentige Auslastung in den Standorten hatten, konnten wir schneller Sachen ausprobieren. So gesehen war dieser Nachteil eigentlich auch ein Vorteil. Wir haben sehr agil Prozessveränderungen ausprobiert, die wir so schnell und agil nicht ausprobiert hätten, wenn wir eine 100-prozentige Auslastung gehabt hätten. Ich würde sagen, wir haben das Beste aus der Situation gemacht und wir sind einen deutlichen Schritt nach vorne gekommen. Jetzt zieht auch glücklicherweise der Auftragseingang gut an.
Ja, wir sind uns, denke ich, alle einig, dass es jetzt langsam mal Zeit wird, dass sich die Lage wieder etwas beruhigt – obwohl es jetzt gerade nicht danach aussieht – damit wir alle mal wieder etwas mehr durchatmen können.
Das wäre schön, ja.