Gießereien im Labyrinth der politischen Entscheidungen

Gießer halten nicht gern die Hand auf: Almosen wollen sie nicht. Wohl aber einen klaren politischen Rahmen, der den Schmelzbetrieb und CO2-Neutralität ermöglicht. Auf dem digitalen Branchentreff „BDG-Zukunftstag“ und im Gespräch mit dem Geschäftsführer der Metallgießerei Chemnitz zeigt sich, was Gießereien brauchen.

Für Michael Neubert, Geschäftsführer der Metallgießerei Chemnitz, drückt der Schuh am meisten bei den Themen Energie und CO2-neutrale Produktion. „Das wird nicht einfach“, sagt er. Sie seien zurzeit dabei, den CO2-Fußabdruck der Gießerei zu ermitteln. Als darauffolgender Schritt sind dann Maßnahmen zur Reduktion geplant. In dem Unternehmen sind 27 Mitarbeiter beschäftigt, hier werden Aluminiumbauteile mit Sand- oder Kokillenguss gefertigt.

Aber wie kommen Gießereien aus den großen CO2-Schuhen heraus? Für manch eine Gießerei reicht es nicht, auf grüne Energie umzustellen. Wer mit Koks schmilzt, hat zurzeit die wohl größten Sorgen. Einen Kupolofen kann man nicht mal so eben durch einen Elektro-Ofen ersetzen. Dafür muss man viel Geld in die Hand nehmen.

Davon berichtet auch Dr. Christiane Heunisch-Grotz, geschäftsführende Gesellschafterin der Gießerei Heunisch, auf dem „Zukunftstag“ des Bundesverbands Deutscher Gießerei-Industrie (BDG), der als digitale Konferenz Ende Juni stattfand. „Zwei Öfen müssen einen Kupolofen ersetzen, wir brauchen dann auch eine neue Halle, das alles würde uns 15 Millionen Euro kosten“, sagt sie.

Anschließend würden sie zusätzlich 16 Millionen kWh mehr Strom benötigen – ein Drittel mehr als bislang. Dabei wirtschaftlich zu bleiben, ist nicht leicht. Neubert berichtet auch von Gießereikollegen im Erzgebirge, die nicht wissen, ob überhaupt genug Strom an ihrem Standort zur Verfügung steht, um auf Strominduktion umzustellen.

Die Metallgießerei Chemnitz schmilzt hauptsächlich mit Erdgas, berichtet Neubert. Er habe gerade an einer Schulung des Deutschen Vereins Gas- und Wasserfach (DVGW) teilgenommen, in der es darum ging, wie das Gasnetz CO2-ärmer werden kann. Künftig soll dem Erdgas mehr Wasserstoff (bis 10%) beigemischt werden. Ein erster Schritt sei, herauszubekommen, wo der Wasserstoff herkommen soll, der die Energie speichert, sagt der Gießerei-Chef. Er überlegt auch, ob sie von Gas auf Strom umsatteln können, ist sich aber nicht sicher, ob der Netzbetreiber das leisten kann. Auch hier steht Neubert außerdem vor dem Problem, das auch die Gießerei Heunisch hat: Er müsste neue Schmelzöfen anschaffen und damit kräftig investieren.

Damit nicht genug: Der CO2-Nachweis der gesamten Lieferkette ist noch so eine Herausforderung. Neubert hat gerade erst mit seinem Aluminium-Lieferanten gesprochen. Der könne auch nicht sagen, wie viel CO2 in seinen Legierungen drinsteckt und müsse erst einmal herausfinden, wo er die Daten dazu herbekommt. Ob die Aluminiumlegierungen mit Sonnenenergie aus Saudi-Arabien oder Kohlekraft aus Deutschland hergestellt wurden, kann für die CO2-Bilanz einen großen Unterschied machen, erklärt Neubert.

Die Branche bewegt sich, aber das Gelände ist unwegsam und unübersichtlich. Vor allem, weil gesetzliche Änderungen ständig die Marschrichtung ändern. Auf dem BDG-Zukunftstag sprach der neue BDG-Präsident Clemens Küpper deshalb von einem Rahmen, der viele Ecken und Kanten habe, eng und klein sei. „Wir empfinden ihn als Labyrinth. Wir stoßen an, das Ziel ist nicht in Sicht“, sagt er und fügt hinzu: „Wir brauchen aber einen Rahmen, der den Schmelzbetrieb ermöglicht.“

„Das wird anstrengend, aber wir sind bereit“
Siegfried Russmann, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) sagt auf der BDG-Veranstaltung: „Alles überragend ist der Klimawandel. Da braucht es massive Investitionen“. Der Ende Mai frisch gewählte Präsident des Verbands, Clemens Küpper, fügt hinzu: „Das wird anstrengend, aber wir sind bereit.“ Auf der Veranstaltung waren sich die Vertreter der Gießereibranche einig: Sie wollen zur Klimaneutralität beitragen, brauchen aber Unterstützung von der Politik, damit die Branche dabei wirtschaftlich und wettbewerbsfähig bleibt.

Küpper, der selbst auch Geschäftsführer der Eisengießerei Baumgarte ist, sagt: „Keine Klimawende geht ohne Guss“, und gibt zu bedenken: „In einer Windmühle stecken 10 t Guss drin, manchmal sogar mehr und wir fänden es schön, wenn diese Windmühlen auch in Deutschland gegossen würden. Das wäre nachhaltig.“

Christiane Heunisch-Grotz macht außerdem auf die Bürokratie aufmerksam, die Gießereien bremse. Sie habe drei Jahre lang auf die Genehmigung für eine eigenen Deponie gewartet: „Wir haben Eidechsen gezählt, Hecken gepflanzt. Es dauert alles viel zu lange.“

Was alle umtreibt ist: Wo soll der grüne Strom so schnell in ausreichenden Mengen herkommen? Heunisch-Grotz überlegt auf dem „Zukunftstag“, ob es nicht sinnvoll sei, „für den Übergang“ wieder Atomstrom zu nutzen. Die Landesvorsitzende der Bündnis90/Die Grünen, Mona Neubauer, und Fridays-for-Future-Sprecher Lukas Maggioni, die auch an der Podiumsdiskussion zum Klimaschutz teilnahmen, waren erwartungsgemäß von dieser Idee nicht begeistert. Neubauer riet der Branche, aus Klimaschutz ein Geschäftsmodell zu machen und erinnerte an die 1980er Jahre. Um das Waldsterben aufgrund von saurem Regen zu beenden, hatte der damalige Umweltminister Klaus Töpfer einen Grenzwert von 300 Milligramm SO2 pro Kubikmeter für Großfeuerungsanlangen auf den Weg gebracht. Daraufhin wurden Rauchgasentschwefelungsanlagen entwickelt und „ein ganz neuer Wirtschaftszweig entstand“, erinnert sich Neubauer.

Wer Vorreiter sein will, muss große Sprünge machen
So eine Krise bringt auch immer Chancen, als Vorreiter zu glänzen und profitieren. Aber eine Gießerei, die Vorreiter beim KliKlimaschutz sein will, muss große Sprünge machen können, nicht nur gedanklich, sondern auch finanziell. Was brauchen sie also dafür? Subventionen? Förderungen?

Ludger Ohm, geschäftsführender Gesellschafter der Ohm & Häner Metallwerke, winkt ab: „Ich will keine Subventionen. Ich will das aus eigener Kraft schaffen“, sagt er in der Diskussionsrunde und auch Küpper hält nichts davon. „Sich überall für eine Kelle an Töpfe anzustellen, fühlt sich nicht richtig an“, sagt er.

„Carbon Leakage“ bedroht die deutsche Branche
Ohm macht deutlich, wo in seinen Augen das Problem liegt: beim Strompreis. Die Ohm & Häner Metallwerke haben für 30 Millionen Euro eine voll elektrische Gießerei gebaut, die 2008 in Betrieb ging. Aufgrund der Preissteigerungen für Strom, hätten sie die neue Gießerei jetzt schon zweimal bezahlt, berichtet Ohm: Einmal mit der Investition und einmal mit den Abgaben, die seitdem fällig waren. „Wir zahlen 2,4 Millionen Euro jedes Jahr an Abgaben, das sind drei Prozent unserer Erlöse“, rechnet er vor. Das Unternehmen sitzt in Olpe, knapp 170 km weiter, hinter der holländischen Grenze, koste der Strom zehn Cent weniger pro kWh. Stichwort „Carbon Leakage“, so wird das Phänomen genannt, wenn Unternehmen aufgrund von Klimavorgaben ihre Produktion ins Ausland verlagern und damit der CO2-Ausstoß letztlich erhöht wird. Das spricht auch Heunisch-Grotz an. Ihr Unternehmen hat zwei Niederlassungen in Tschechien, dort sei der Strompreis um 25 Prozent günstiger. Sie fordert von der Politik Regelungen für einen fairen Wettbewerb, „wenn wir im Land bleiben sollen.“

Kleinere Unternehmen wie Neuberts Gießerei in Chemnitz haben diese Möglichkeiten nicht. Was braucht er? Sollte eine Fee mit drei freien Wünschen im Gepäck ans Werkstor der Metallgießerei Chemnitz klopfen, würde Michael Neubert diese wählen:

  • eine verlässliche politische Unterstützung bei der Energiebelieferung
  • eine Rückbesinnung auf lokale und regionale Lieferanten
  • dass jetzt nicht noch die vierte, fünfte oder sechste Corona-Welle kommt.

Damit hätte der Geschäftsführer der 27-Mitarbeiter-Gießerei nicht nur für sich selbst gesorgt, sondern der ganzen Branche einen Gefallen getan.