Signale im Nebel: Schiffsglocken

Seit Jahrhunderten schon begleiten sie die Seeleute an Bord

Glocken haben eine jahrhundertelange Tradition auf Marineschiffen und auf Schiffen der Handelsflotten der Welt. Das Signalisieren, Zeitmessen und Alarmschlagen gehörten seit jeher zu den wichtigen Routinen für die Bereitschaft eines Schiffes.

Schiffsglocken wurden schon im 15. Jahrhundert an Bord von seegehenden Schiffen mitgeführt. In erster Linie dienten sie dazu, der Besatzung die Tageszeit anzuzeigen. Uhren mit ausreichender Ganggenauigkeit gab es damals noch nicht. Bis zur Einführung des Chronometers (nach 1760) war daher die Sanduhr das wichtigste Gerät zur Zeitmessung auf Schiffen. Hierzu hatte einer der Schiffsjungen die Aufgabe, das Stundenglas zu beobachten und umzudrehen, wenn der Sand durchgelaufen war. Wenn der Schiffsjunge nun das Stundenglas umdrehte, schlug er die Schiffsglocke an, um zu signalisieren, dass er diese wichtige Aufgabe erfüllt hatte. Da die Glockenschläge vom Stundenglas abgeleitet wurden, heißen sie “Glasenschläge”.

Außerdem wurden die Glocken als Sicherheitssignale geschlagen, wenn Schiffe bei Nebel dicht beieinander fuhren; oder sie dienten als Signal des Ausgucks am Bug an die Besatzung auf der Schiffsbrücke. Denn raues Wetter übertönt den Klang einer menschlichen Stimme, die eine Nachricht oder ein Gefahrsignal übermitteln will. Aber die Schiffsglocke kam auch gegen Sturm und Seegang an.

Wurde ein Schiff gekapert oder zerschlagen, wurde seine Glocke zu einem wertvollen Besitz. Und wenn ein Schiffsname geändert wird, ist es eine maritime Tradition, dass die ursprüngliche Glocke mit dem alten Namen an Bord bleibt.

Doch nicht immer erreichte die Schiffsglocke ihren Adressaten rechtzeitig genug, um eine Katastrophe zu verhindern: Die Glocke aus dem Krähennest der Titanic wurde 1985 bei einer Expedition geborgen und ist im Titanic Museum in Massachusetts ausgestellt. Es ist dieselbe Glocke, die vom Ausguck Frederick Fleet dreimal geläutet wurde, um das Schiff vor dem Eisberg zu warnen.

Die älteste Schiffsglocke wurde von der Wrackstätte eines portugiesischen Armadaschiffs vor der Küste Omans geborgen und von Archäologen auf das Jahr 1498 datiert. Es wird angenommen, dass das Schiff die Nau Esmeralda ist, die von Vicente Sodré befehligt wurde, einem Onkel von Vasco da Gama.

Glocke der Esmeralda

Von Schiffsglocken und Kirchenglocken

Die Bedeutung der Glocke in Europa zeigt ihre äußerst vielfältige Verwendung. Aus allen Glockenarten ragen die Kirchenglocken mit ihrer Klangschönheit, ihrer schieren Größe und ihrem kunstvollen, aufwendigen Herstellungsverfahren heraus. Sie sind religiöser Bedeutungsträger und Musikinstrument zugleich.

Hanns Martin Rincker, Geschäftsführer der hessischen Glocken- und Kunstgießerei Rincker, erklärt zum Gussverfahren der Kirchenglocke: “Die Läuteglocke, die im – in Mitteleuropa seit etwa dem 12. Jahrhundert bekannten – traditionellen Lehmformverfahren geformt sowie in einer sogenannten Glockenbronze gegossen wird, ist im Grunde bis heute qualitativ unerreicht. Das Verfahren wird in Mitteleuropa flächendeckend nur noch bei den verbliebenen fünf Glockengießern in Deutschland sowie bei dem letzten schweizerischen Glockengießer angewendet.”

Empfehlenswerter Fachartikel:

Hanns Martin Rincker
“Historische und aktuelle Aspekte des Glockengusses.”

giesserei-praxis.de/aspekte-des-glockengusses

Im Gegensatz zu Läuteglocken für Kirchen, die in Deutschland im aufwendigen Lehm-Schablonen-Formverfahren hergestellt werden, kommt bei Schiffsglocken in der Regel das einfachere Sandgussverfahren zum Einsatz.

Das flüssige Metall wird in eine Sandgussform gefüllt, nach dem Erkalten aus der Form genommen und bearbeitet, das heißt, überschüssiges Material und Gussgrate werden entfernt, die Glocken geschliffen, poliert und verchromt. Die für Schiffsglocken so charakteristischen umlaufenden Ringe werden auf der Drehbank erzeugt. In der Regel erhält die Glocke auch eine Gravur mit dem Namen des Schiffes. Schließlich wird der Glockenköper mit einer Genehmigungsnummer versehen und wird mit einem Prüfzertifikat ausgeliefert, das bescheinigt, dass die Glocke den internationalen Kollisionsverhütungsregeln für die Schifffahrt entspricht.

Moderne Schiffsglocken werden in der Regel aus robusten und korrosionsbeständigen Bronze- oder Messinglegierungen gegossen. Der nordrhein-westfälische Metallverarbeiter Biggemann bietet beispielsweise eine Schiffsglocke aus dem Werkstoff CC750S-GS an. Werkstoff CC750S ist eine Kupfer-Zink-Legierung mit Blei (CuZn33Pb2-C). Er hat einen Kupfergehalt von 63–67%, einen Bleigehalt von 1–3% und einen Zinkgehalt von 30–35%. Der Werkstoff CC750S kann für Schiffsglocken verwendet werden, da er eine gute Korrosionsbeständigkeit und Schlagfestigkeit hat.

Schiffsglocken und andere Schallsignale

Laut internationalem Seerecht muss auf allen Schiffen mit einer Länge von mehr als 20 Metern eine Schiffsglocke mitgeführt werden. Diese Schiffsglocken werden Baumuster-Prüfungen unterzogen, die in Deutschland das Bundesamt für Schifffahrt und Hydrographie (BSH) durchführt. Mit dem Läuten der Schiffsglocken sollen im dichten Nebel Schiffe auf sich aufmerksam machen, die entweder vor Anker liegen oder auf Grund sitzen.

Diese Vorschrift stammt noch aus Zeiten, als es auf Schiffen weder automatische Signalanlagen noch Radargeräte gab. Beispielsweise wurde die Schiffsglocke im Jahr 1858 in den britischen Marinevorschriften verbindlich vorgeschrieben. 

Aus den internationalen Kollisionsverhütungsregeln ist ersichtlich, dass seegehende Schiffe mit 100 und mehr Meter Länge neben der Schiffsglocke auch einen Gong mitführen müssen. Während die Glocke den Bug des Schiffes markiert, ertönt der Gong am Heck. Heute werden solche Schallsignale von einer Signalanlage automatisch abgespielt und lassen sich per Knopfdruck von der Schiffsbrücke aktivieren.

Das gilt ebenso für das Schiffs-Typhon (historisch “Dampfpfeife”).

Allerdings kann es auf einem Schiff auch zu einem Blackout, also einem totalen Stromausfall kommen. Wenn die Besatzung den Betriebszustand nicht wiederherstellen kann, solange das Notstromaggregat die sicherheitsrelevanten Systeme auf dem Schiff mit Strom versorgt, schalten sich Radargeräte und elektrische Signalanlagen ab. 

(Laut SOLAS-Konvention muss das Notstromaggregat in der Lage sein, Strom für einen Zeitraum von 18 Stunden für ein Frachtschiff und 36 Stunden für ein Fahrgastschiff zu liefern und auch bei einer Schlagseite bis 22,5° und einem Trimm bis 10° noch arbeiten.)

Um für solche Situationen ein Backup-System zu haben, hat die Vorschrift über das Mitführen von “echten” Schiffsglocken und Gongs an Bord bis heute ihre Gültigkeit nicht verloren.

Weitere Informationen:

Mearns, D.L., Parham, D. and Frohlich, B. (2016), A Portuguese East Indiaman from the 1502–1503 Fleet of Vasco da Gama off Al Hallaniyah Island, Oman: an interim report. International Journal of Nautical Archaeology, 45: 331-350. https://doi.org/10.1111/1095-9270.12175

http://esmeraldashipwreck.com/science

guss.de/fileadmin/user_upload/richtlinien/bdg-richtlinie_f_1.pdf
rincker.de/glocken/herstellung
kunstguss-harms.de/referenzen/schiffsglocken/schiffsglockenmodelle

Convention on the International Regulations for Preventing Collisions at Sea, 1972 (COLREGs)
(Internationale Kollisionsverhütungsregeln – KVR)

Regel 35 Schallsignale bei verminderter Sicht
Innerhalb oder in der Nähe eines Gebiets mit verminderter Sicht müssen am Tag oder bei Nacht folgende Signale gegeben werden:  

a) Ein Maschinenfahrzeug, das Fahrt durchs Wasser macht, muß mindestens alle 2 Minuten einen langen Ton geben.
    
    (…)

g) Ein Fahrzeug vor Anker muß mindestens jede Minute etwa 5 Sekunden lang die Glocke rasch läuten. Ein Fahrzeug von 100 und mehr Meter Länge muß die Glocke auf dem Vorschiff läuten und unmittelbar danach auf dem Achterschiff etwa 5 Sekunden lang den Gong rasch schlagen. Ein Fahrzeug vor Anker darf außerdem drei aufeinanderfolgende Töne – kurz, lang, kurz – geben, um einem sich nähernden Fahrzeug seinen Standort anzuzeigen und es vor einem möglichen Zusammenstoß zu warnen.

h) Ein Fahrzeug auf Grund muß das Glockensignal und, soweit vorgeschrieben, das Gongsignal nach Buchstabe g geben, sowie zusätzlich unmittelbar vor und nach dem raschen Glockenläuten drei scharf voneinander getrennte Glockenschläge. Ein Fahrzeug auf Grund darf zusätzlich ein geeignetes Pfeifensignal geben.

   (…)